Die drei Phasen der Narbenbildung – ein biologisches Drama
Die Bildung einer Narbe verläuft in mehreren Phasen – jede davon hat ihre eigene Hauptrolle im Prozess der Wundheilung.1. Entzündungsphase:
Direkt nach der Verletzung beginnt die Entzündungsphase. Blutgefäße ziehen sich zunächst zusammen, um den Blutverlust zu minimieren, nur um sich kurz darauf wieder zu erweitern. Das ist kein Widerspruch, sondern ein geplanter taktischer Rückzug, gefolgt von einem zellulären Großaufgebot. Immunzellen wie neutrophile Granulozyten und Makrophagen strömen ein, räumen Trümmer weg und beseitigen Eindringlinge. Alles läuft auf Hochtouren, damit der Körper sich überhaupt erholen kann.2. Die Profiferationsphase
Anschließend übernimmt die Proliferationsphase das Ruder. Fibroblasten – fleißige Bindegewebszellen – wandern in das Wundgebiet ein und produzieren massenhaft Kollagen, vor allem Typ III. Gleichzeitig entstehen neue Blutgefäße, die das frisch entstehende Gewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Die Haut beginnt sich zu schließen, neue Epithelzellen übernehmen die äußere Abdichtung. Man könnte sagen: Das Rohbau-Team arbeitet mit Hochdruck – allerdings ohne Rücksicht auf Designfragen.3. Die Remodulierungsphase
In der Remodellierungsphase wird schließlich aufgeräumt und stabilisiert. Kollagen Typ III wird durch das robustere Typ I ersetzt. Die Blutversorgung nimmt ab, das Gewebe wird fester – aber auch weniger flexibel. Die einst dynamische Baustelle verwandelt sich in einen stabilen, aber wenig elastischen „Narbenblock“. So bleibt ein sichtbares und spürbares Ergebnis zurück, das zwar schützt, aber nicht perfekt funktioniert.
Metabolisches Hochleistungsprojekt mit Langzeitfolgen
Was im Körper während der Narbenbildung passiert, ist nicht nur strukturell – es ist auch metabolisch herausfordernd. Die Zellaktivität ist enorm: Fibroblasten, Makrophagen und andere Beteiligte benötigen große Mengen an Energie, hauptsächlich in Form von ATP. Vor allem in der frühen Phase ist der Sauerstoffverbrauch hoch. Sobald die Narbe jedoch ausgereift ist, reduziert sich die Durchblutung. Das Gewebe wird metabolisch inaktiver – es lebt zwar noch, aber auf Sparflamme.Narbenhaut unterscheidet sich deutlich von gesunder Haut: Sie enthält keine Schweißdrüsen, keine Talgproduktion, keine Haarfollikel. Ihre Fähigkeit zur Thermoregulation, zur Feuchtigkeitsbindung oder zur Sinneswahrnehmung ist deutlich reduziert. Und sie ist trockener – oft sehr viel trockener. Elastische Fasern? Fehlanzeige. Die Haut wirkt steif, fast gummiartig. Das ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern wirkt sich auf Beweglichkeit und Körpergefühl aus.
Wenn Bewegung leidet – funktionelle Einschränkungen durch Narben
Für viele Menschen ist eine Narbe nicht mehr als eine bleibende Erinnerung. Für Physiotherapeuten ist sie häufig eine Herausforderung im Bewegungsapparat. Narben können sich mit tieferliegenden Strukturen wie Faszien oder Muskeln verbinden und dadurch wie ein unsichtbares Band wirken, das Bewegungen hemmt. Besonders kritisch wird es, wenn Narben in Gelenknähe liegen oder über Muskelketten hinweg verlaufen.Ein Beispiel: Eine straffe Narbe nach einer Bauchoperation kann die Atmung beeinflussen, die Körperhaltung verändern oder sogar Rückenschmerzen verursachen. Eine Narbe am Hals kann die Beweglichkeit der Halswirbelsäule einschränken und zu Spannungen im Schulter-Nacken-Bereich führen. Der Körper versucht zu kompensieren – aber auf Dauer führt diese Kompensation zu neuen Problemen. Als Therapeut muss man also nicht nur die Narbe selbst, sondern ihre weitreichenden Effekte im Blick behalten.
Psychische Narben – mehr als Hauttiefe
Was oft unterschätzt wird: Narben können auch psychisch tief sitzen. Eine Narbe ist selten nur das, was man sieht. Für viele Menschen ist sie ein Symbol – für Schmerz, Trauma, Krankheit oder einen schweren Lebensabschnitt. Sie erinnert täglich an eine Geschichte, die vielleicht nie ganz abgeschlossen wurde. Gerade sichtbare Narben, etwa im Gesicht oder an den Armen, können das Selbstwertgefühl massiv beeinträchtigen. Sie führen nicht selten zu sozialem Rückzug, Vermeidungsverhalten oder sogar depressiven Verstimmungen.Neuere Studien, unter anderem aus dem Jahr 2024 im Journal of Psychosomatic Research, zeigen deutlich: Die psychologische Belastung durch sichtbare Narben wird nach wie vor unterschätzt. Betroffene vermeiden oft Berührung, Blickkontakt mit dem betroffenen Bereich oder sprechen nicht darüber. In der Therapie ist es daher wichtig, auch die emotionale Dimension einer Narbe anzuerkennen – und in den Behandlungsprozess zu integrieren. Erst wenn die Patientin oder der Patient sich wieder mit dem eigenen Körper versöhnen kann, wird eine nachhaltige Verbesserung möglich.
Neue Wege in der Narbentherapie
Die Medizin hat in den letzten Jahren große Fortschritte bei der Behandlung von Narben gemacht. Moderne Silikonauflagen, wie sie in Studien von 2023 und 2024 belegt wurden, helfen, überschüssige Narbenbildung zu reduzieren. Lasertherapien – zum Beispiel mit fraktioniertem CO₂ oder Farbstofflasern – verbessern die Elastizität und das Erscheinungsbild von Narben deutlich. Microneedling mit plättchenreichem Plasma (PRP) gewinnt zunehmend an Bedeutung – nicht nur in der ästhetischen Medizin, sondern auch in funktionellen Kontexten.Auch aus physiotherapeutischer Sicht gibt es wirksame Ansätze: Manuelle Techniken wie Narbenmobilisation, Faszienbehandlungen und aktive Bewegungstherapie sind längst etabliert. Ziel ist es nicht, die Narbe „wegzukneten“, sondern sie wieder in den natürlichen Bewegungsfluss des Körpers zu integrieren. Erfolgreiche Narbentherapie ist heute meist interdisziplinär – und verbindet Körperarbeit, Dermatologie und manchmal auch psychologische Begleitung.
Narben haben Charakter – und verdienen Aufmerksamkeit
Narben erzählen Geschichten. Manche sind heldenhaft, andere peinlich, manche einfach das Ergebnis von übermotiviertem Kochverhalten mit einem zu scharfen Messer. Doch so lustig manche Ursprungsgeschichte sein mag – die Narbe bleibt. Und sie verdient Aufmerksamkeit. Ignorieren bringt nichts. In der Physiotherapie betrachten wir sie deshalb nicht als Schönheitsfehler, sondern als ernstzunehmenden Teil der Körpersprache. Ziel ist nicht, sie verschwinden zu lassen, sondern dafür zu sorgen, dass sie nicht weiterhin ungefragt mitschreiben an der Lebensgeschichte der Betroffenen.⸻
Quellen (Fußnote)
Journal of Wound Repair and Regeneration (2023)
Journal of Psychosomatic Research (2024)
American Academy of Dermatology Guidelines (2024)
British Journal of Dermatology (2024)
European Journal of Physiotherapy (2024)
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Pic by Alexander Grey Pixabay