Als Physiotherapeut erkennt man mit einem Blick, ob ein Rollator seinem Zweck dient – oder ob er zum Alibi geworden ist. Der erste Eindruck täuscht selten: Eine aufrechte Haltung mit lockerem Griff an den Griffen signalisiert, dass der Rollator begleitet. Ein über den Rahmen gebeugter Oberkörper mit durchgestreckten Armen zeigt hingegen: Hier wird kompensiert, nicht mobilisiert. Die Behandlung von Rollator-Nutzer:innen beginnt daher nicht mit einer Übung, sondern mit einer Analyse des Bewegungsverhaltens. Denn entscheidend ist nicht das Hilfsmittel selbst, sondern wie es eingesetzt wird. Und leider ist es in der Praxis oft so, dass niemand dem Patienten gezeigt hat, wie ein Rollator überhaupt richtig benutzt wird.
Korrekte Einstellung und gezielte Schulung
Ein zentraler Punkt ist die Höhe der Griffe. Sie sollten so eingestellt sein, dass die Ellenbogen bei aufrechter Haltung leicht gebeugt sind. Viele Geräte sind viel zu tief eingestellt, was dazu verleitet, sich vornüber zu lehnen und das Körpergewicht auf die Arme zu verlagern. Ich beginne meine Therapie daher oft mit einer einfachen Maßnahme: der Aufrichtung.Gemeinsam mit dem Patienten stelle ich die richtige Höhe ein, lasse ihn bewusst spüren, wie sich eine aktive Ganghaltung anfühlt – und wie sich sein Gleichgewicht dabei verändert. Bereits hier zeigt sich oft Erleichterung. Denn viele Menschen merken erst in der Therapie, wie viel Kraft sie noch in den Beinen haben, wenn man sie nur lässt. Es geht darum, dem Körper wieder Verantwortung zurückzugeben. Der Rollator darf unterstützen, aber nicht führen. Das Ziel ist, dass der Mensch den Rollator nutzt – und nicht umgekehrt.
Muskelaufbau als zentrales Therapieziel
Ohne gezielten Muskelaufbau wird jedoch keine dauerhafte Verbesserung möglich sein. Dabei geht es nicht um Geräte oder Fitnessstudios, sondern um alltagsintegriertes Training. Ich lasse meine Patient:innen einfache Bewegungen ausführen: vom stabilen Stuhl aufstehen ohne sich abzustützen, kurze Strecken in der Wohnung bewusst gehen, sich im Tandemstand beim Zähneputzen stabilisieren.Es geht darum, Beweglichkeit zurückzuerobern – nicht als abstraktes Ziel, sondern als spürbare Verbesserung im Alltag. Wer wieder sicher aufstehen kann, gewinnt Freiheit zurück. Wer ohne Rollator vom Bad ins Schlafzimmer kommt, gewinnt Würde. All das beginnt mit kleinen Impulsen – aber sie müssen konsequent gesetzt werden.
Mentale Blockaden lösen – Mobilität ermöglichen
Viele ältere Menschen leben nicht nur mit schwacher Muskulatur, sondern auch mit einer tiefsitzenden Angst: dem Gefühl, bei der kleinsten Bewegung zu stürzen. Diese Angst lähmt, sie verhindert Fortschritt. Als Therapeut muss ich daher nicht nur physisch, sondern auch psychologisch arbeiten. Ich baue Vertrauen auf, ermutige zur Eigenaktivität, erkläre die Biomechanik hinter Bewegungen – damit der Mensch versteht, was passiert, wenn er sich wieder aufrichtet. Denn nur wer versteht, was falsch läuft, kann es bewusst ändern.Am Ende geht es um mehr als nur Gehen: Es geht um Autonomie, Selbstwirksamkeit und Lebensqualität. Der Rollator kann ein gutes Werkzeug sein – aber nur, wenn der Mensch dahinter stark genug ist, ihn richtig zu nutzen. Und genau daran arbeiten wir.