Wenn Verdauung die Haltung beeinflusst
Viele Patienten kommen mit Rückenschmerzen, Verspannungen oder muskulärer Erschöpfung in meine Praxis. Oft wirken sie erschöpft, berichten von einem Gefühl innerer Unruhe, von Konzentrationsstörungen oder einem ständigen Völlegefühl. Was zunächst wie eine stressbedingte Überlastung wirkt, entpuppt sich bei genauerem Nachfragen nicht selten als etwas, das im Bauch beginnt – genauer: als Laktoseintoleranz. Dieses Thema wird im physiotherapeutischen Alltag noch viel zu selten angesprochen, obwohl die Auswirkungen auf das muskuläre System teils massiv sind.
Das Problem sitzt nicht im Rücken – sondern oft im Darm
Wenn der Körper Milchzucker nicht abbauen kann, entsteht eine regelrechte Druckwelle im Verdauungstrakt. Die Gärungsprozesse führen zu Gasbildung, Reizungen der Darmschleimhaut und unterschwelligen Entzündungen. Das beeinflusst nicht nur das vegetative Nervensystem, sondern auch die Bauchmuskulatur, das Zwerchfell und die tiefe Stabilisation. Viele Patienten spannen bei jeder Bewegung den Bauch mit an, vermeiden bestimmte Bewegungen oder klagen über ein „inneres Ziehen“. Nicht selten ist der verspannte Rücken schlicht eine Folge von überforderter Verdauung.
Sportliche Patienten trifft es oft unerwartet
Gerade Fitness- und Ausdauersportler nehmen regelmäßig Milchprodukte oder Whey-Protein-Shakes zu sich. Dass diese für den Muskelaufbau gedacht sind, ist korrekt – aber nur, wenn der Körper den Milchzucker auch verarbeiten kann. Ansonsten entstehen Bauchbeschwerden, Konzentrationsmängel oder regenerative Störungen, die häufig gar nicht mit der Ernährung in Verbindung gebracht werden. Ich habe es in der Praxis schon oft erlebt: Nach Umstellung auf laktosefreie Produkte oder pflanzliche Alternativen verbesserten sich nicht nur das Bauchgefühl, sondern auch die Beweglichkeit und das subjektive Wohlbefinden der Patienten.
Laktoseintoleranz ist keine Modeerscheinung
In medizinischen Gesprächen wird Laktoseunverträglichkeit häufig abgetan. Sie gilt als „Lifestyle-Thema“ oder psychosomatische Überempfindlichkeit. Dabei zeigen Studien, dass weltweit etwa drei Viertel der Menschen nach dem Säuglingsalter Milchzucker nicht mehr vertragen – es ist also biologisch normal, laktoseintolerant zu sein. Die Fähigkeit, Milchprodukte lebenslang zu verdauen, ist eine genetische Ausnahme, keine Norm. In Mitteleuropa liegt die Rate der Betroffenen immerhin noch bei 10 bis 20 Prozent – genug, um das Thema ernst zu nehmen.
Was Patienten oft nicht wissen – und niemand fragt
Bei anhaltenden Rückenschmerzen wird in der Regel nach orthopädischen Ursachen gesucht: Fehlhaltungen, Bandscheibenprobleme, muskuläre Dysbalancen. Das ist richtig und wichtig. Aber wenn ein Patient zusätzlich über Blähungen, Müdigkeit oder diffuse Bauchbeschwerden klagt, sollten wir als Therapeuten genauer hinschauen. Denn hinter vielen chronischen Schmerzsyndromen versteckt sich ein stiller Entzündungsherd im Bauch. Eine Laktoseintoleranz ist nicht gefährlich – aber sie stört Heilungsprozesse, beeinflusst das Training und verschlechtert die Lebensqualität spürbar.
Laktosefrei durch den Therapiealltag
In der praktischen Arbeit ist es hilfreich, Ernährung als Teil der Anamnese zu verstehen. Ich frage meine Patienten inzwischen gezielt: Wie fühlen Sie sich nach dem Essen? Gibt es Lebensmittel, die Sie meiden? Nehmen Sie regelmäßig Shakes oder Quark zu sich? Oft reicht schon ein zweiwöchiger Verzicht auf Milchprodukte aus, um erste Veränderungen festzustellen. Auch der Einsatz von Laktase-Präparaten kann eine Übergangslösung sein. Wichtig ist, dass wir das Thema offen ansprechen – ohne moralischen Zeigefinger, aber mit fachlicher Neugier.Im Falle eines Physiotherapeuten
Nicht jeder Rückenschmerz ist ein Fall für die Faszienrolle oder die tiefe Hocke. Manchmal beginnt die Lösung im Darm. Wer als Therapeut ganzheitlich arbeitet, sollte auch die Ernährung im Blick haben. Und wer als Patient unter scheinbar „unerklärlichen“ Verspannungen oder Leistungstiefs leidet, sollte sich nicht scheuen, auch das Thema Laktoseintoleranz in Betracht zu ziehen. Denn echte Gesundheit entsteht nicht nur im Muskel – sondern auch im Bauch.(Pic: congerdesign/Pixabay)