Wer ist besonders gefährdet – und wie erkennt man die ersten Anzeichen?
Während Osteoporose lange Zeit als typische „Frauenkrankheit“ galt, wissen wir heute, dass auch Männer betroffen sind – oft mit besonders schweren Verläufen. Zu den Risikofaktoren zählen nicht nur das Alter und hormonelle Veränderungen, sondern vor allem Bewegungsmangel, Mangelernährung, Nikotin, Alkohol und die langfristige Einnahme von Glukokortikoiden. Für uns in der Praxis bedeutet das: Wir müssen sensibel sein für Risikoprofile – auch bei vermeintlich gesunden Patientinnen und Patienten, die mit Rückenschmerzen oder Gangunsicherheit zu uns kommen. Hier gilt es, gezielt nachzufragen und gegebenenfalls zur ärztlichen Abklärung (z. B. Knochendichtemessung per DXA) zu motivieren. Neue Biomarker-Tests, die den Knochenstoffwechsel bereits vor strukturellen Schäden abbilden, könnten in Zukunft eine noch frühere Intervention ermöglichen.Physiotherapie als Schlüssel: Belastung statt Schonung
Einer der wichtigsten physiotherapeutischen Grundsätze bei Osteoporose lautet: Knochen brauchen Belastung. Mechanische Reize – vor allem durch axial wirkende Kräfte – fördern die Osteoblastenaktivität und damit den Knochenaufbau. Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit von dosiertem Krafttraining, insbesondere mit dem Fokus auf Rumpfstabilität, Beinachsenkontrolle und funktioneller Aufrichtung. Dabei geht es nicht um Maximalkraft, sondern um regelmäßige, gezielte Alltagsbelastung mit therapeutisch kontrollierter Progression. Treppensteigen, langsames Joggen, Kniebeugen, Hüpfübungen – in individuell adaptierter Form – zeigen in der Praxis erstaunliche Effekte auf Knochendichte und Gleichgewicht.Haltung, Körperwahrnehmung und die Rolle der Tiefenmuskulatur
Viele Osteoporose-Patienten entwickeln mit der Zeit kompensatorische Fehlhaltungen: eine nach vorne geneigte Körperhaltung, verminderte Extensionsfähigkeit der Wirbelsäule, Unsicherheit im Gangbild. Diese Veränderungen sind nicht nur Folge, sondern auch Verstärker des Knochenabbaus – insbesondere im Bereich der Brust- und Lendenwirbel. Die physiotherapeutische Antwort liegt in der Schulung der Haltung, der bewussten Aufrichtung im Alltag und der Aktivierung der tiefen autochthonen Rückenmuskulatur. Auch Übungen zur Verbesserung der Propriozeption, etwa auf instabilen Untergründen, tragen zur aktiven Sturzprophylaxe bei.Balance und Sturzprävention als therapeutisches Fundament
Der größte Risikofaktor für osteoporotische Frakturen ist nicht der poröse Knochen allein, sondern der Sturz. Unsere therapeutische Aufgabe besteht daher nicht nur im Muskelaufbau, sondern in der ganzheitlichen Verbesserung von Koordination, Reaktion und Gleichgewicht. Das bedeutet: gezielte Einheiten zur posturalen Kontrolle, Gangschulung auf unterschiedlichen Untergründen, Schulung visueller und vestibulärer Systeme – und nicht zuletzt das Training von Alltagsbewegungen unter erschwerten Bedingungen. Studien zeigen, dass Balanceübungen signifikant zur Reduktion von Sturzereignissen beitragen – insbesondere bei älteren Menschen mit eingeschränktem Selbstvertrauen.Kalzium, Vitamin D und das Wissen um die Grenzen physiotherapeutischer Beratung
Viele Patienten erwarten von uns nicht nur Bewegungsanleitungen, sondern auch Informationen zu Ernährung und Supplementen. Auch wenn wir als Physiotherapeuten keine Nahrungsergänzungsmittel verschreiben, ist es hilfreich, evidenzbasiert zu beraten. Der Tagesbedarf an Kalzium liegt laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung bei rund 1.000 bis 1.200 mg. Vitamin D sollte mit 800–1.000 IE täglich ergänzt werden – bei bestehenden Mangelzuständen auch deutlich höher, je nach ärztlicher Verordnung. Zahlreiche Studien, darunter Metaanalysen der Cochrane Collaboration, zeigen, dass die Kombination aus Kalzium und Vitamin D das Frakturrisiko signifikant senken kann – jedoch nur in Verbindung mit Bewegung. Ohne physische Reize bleibt der biochemische Effekt begrenzt.
Therapieerfolg heißt auch: Angst abbauen und Selbstwirksamkeit fördern
Wer einen osteoporosebedingten Bruch erlitten hat, verliert nicht nur Knochensubstanz, sondern oft auch Vertrauen in den eigenen Körper. Die Folge ist ein Teufelskreis aus Schonverhalten, Inaktivität, sozialem Rückzug und sekundären Schmerzzuständen. Unser therapeutisches Ziel ist daher mehrdimensional: Wir wollen nicht nur den Bewegungsapparat stabilisieren, sondern auch emotionale Sicherheit zurückgeben. Dabei helfen empathisches Coaching, kleine Erfolgserlebnisse im Therapiealltag, visuelle Feedbacksysteme (z. B. Spiegelarbeit oder digitale Ganganalyse) und vor allem: Zeit. Denn Vertrauen in den eigenen Körper wächst nicht über Nacht – aber es wächst.Was junge Patienten oft nicht wissen: Die Prävention beginnt früher als gedacht
Immer mehr junge Frauen – etwa durch vegane Ernährung, Essstörungen oder übertriebene Diäten – entwickeln bereits in den Zwanzigern eine Unterversorgung an Kalzium und Vitamin D. Auch das sogenannte Female Athlete Triad (Energieverfügbarkeit, Menstruation, Knochendichte) ist in sporttherapeutischen Kontexten relevant. Frühzeitige Sensibilisierung, Bewegungsfreude statt Leistungsdruck und eine positive Körperhaltung können helfen, spätere Schäden zu vermeiden. Für uns bedeutet das: Prävention ist keine Frage des Alters, sondern der Aufmerksamkeit.Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle medizinische Beratung, Diagnose oder Behandlung. Alle therapeutischen Maßnahmen sollten stets in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder einer approbierten medizinischen Fachkraft erfolgen. Insbesondere bei Verdacht auf Osteoporose oder bereits bestehenden Frakturen ist eine ärztliche Abklärung unerlässlich. Physiotherapeuten arbeiten im Rahmen ihrer Kompetenzen – eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen ist bei osteologischen Fragestellungen ausdrücklich zu empfehlen.
Wissenschaftlich fundierte Quellen:
– Deutsche Gesellschaft für Osteologie (DVO) 2024: www.dv-osteologie.org
– Rizzoli et al. (2022): Recommendations for the prevention and treatment of osteoporosis. Osteoporosis International, 33(4), 715–738.
– Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Referenzwerte Kalzium und Vitamin D
– Cochrane Review (2021): Vitamin D and calcium supplementation for the prevention of fractures in older people
– Runge, M. et al. (2020): Bedeutung der Sturzprophylaxe in der Osteoporosetherapie. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie
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