Alzheimer vorbeugen – was wir als Physiotherapeuten wirklich tun können

Alzheimer vorbeugen – was wir als Physiotherapeuten wirklich tun können

Matthias Zomer Pexels

In der täglichen physiotherapeutischen Praxis begegnet uns Alzheimer nicht erst, wenn die Diagnose schwarz auf weiß vorliegt. Oft spüren wir die ersten Anzeichen in der Art, wie Patient:innen sich bewegen, Aufgaben umsetzen oder mit uns kommunizieren. Alzheimer ist keine rein genetische Laune des Schicksals, sondern ein Prozess, der über Jahre hinweg schleichend im Körper beginnt – und von Kopf bis Fuß spürbar ist. Genau da liegt unser Ansatz: Prävention. Und zwar nicht als Buzzword, sondern als reale therapeutische Handlungsmöglichkeit.

Eine moderne Physiotherapie-2025-Neufassung bedeutet dabei vor allem: Wir denken nicht nur in Gelenkwinkeln, Muskellängen und „da ziehen wir mal ein bisschen“. Wir denken funktionell, alltagsnah und systemisch. Wenn eine Patientin zunehmend unsicher wird beim Richtungswechsel, wenn ein Patient bei einfachen Abfolgen stockt, wenn das Gleichgewicht „komisch“ wirkt oder die Belastbarkeit auffällig nachlässt, dann ist das nicht automatisch „halt das Alter“. Es kann ein Hinweis darauf sein, dass zentrale Steuerung, Aufmerksamkeit und kognitive Reserve bereits unter Druck stehen. Genau an dieser Schnittstelle sind wir oft früher dran als viele andere Berufsgruppen – und das ist Verantwortung, aber auch Chance.

Wenn das Gehirn langsamer wird – was Alzheimer auslöst

Alzheimer entsteht nicht einfach „irgendwann“, sondern ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Zusammenspiels aus Alterungsprozessen, Entzündung, Gefäßschäden und einer Art innerer Energiekrise im Gehirn. Genetische Risikofaktoren wie das ApoE4-Gen erhöhen die Wahrscheinlichkeit – aber sie sind nicht der alleinige Grund. Viel entscheidender ist die Frage: Wie lebt ein Mensch? Wie bewegt er sich, wie schläft er, wie ernährt er sich? Denn das Gehirn ist auf stabile Versorgung angewiesen – mit Sauerstoff, mit Glukose, mit Nährstoffen. Und genau hier setzt unser Blick an.

Für die Praxis heißt das: Wir sollten Alzheimer nicht als „reine Gedächtniskrankheit“ behandeln, sondern als multisystemische Entwicklung, bei der Durchblutung, Stoffwechsel, Entzündung und Stressregulation eine Rolle spielen. Viele Patient:innen bringen einen Rucksack aus Hypertonie, Bewegungsmangel, Übergewicht, Prädiabetes, Schlafproblemen und chronischer Überforderung mit. Und ja, manchmal kommt noch die gesellschaftliche Scheinheiligkeit dazu: Man predigt „aktive Senioren“, aber organisiert den Alltag so, dass Bewegung zur logistischen Zumutung wird und soziale Kontakte wegbröseln. Prävention beginnt dann nicht im Labor, sondern in der realen Tagesstruktur.

Wichtig ist außerdem, neurologische Red Flags sauber zu trennen: Wenn plötzlich neue neurologische Ausfälle, deutliche Gangbildveränderungen, akute Verwirrtheit oder rasche Verschlechterungen auftreten, ist das nicht „Trainingsthema“, sondern Abklärungsthema. Prävention ist stark, aber nicht größenwahnsinnig. Wir arbeiten interdisziplinär, und wir erkennen unsere Grenzen genauso professionell wie unsere Möglichkeiten.

Bewegung ist mehr als Mobilisation – sie schützt das Gehirn

Regelmäßige körperliche Aktivität ist der stärkste modulierbare Faktor gegen Alzheimer. Bewegung verbessert die Durchblutung, fördert die Neuroplastizität, senkt Entzündungswerte und hält Insulin- sowie Blutfettwerte in Schach. Studien zeigen, dass moderate Ausdauerbelastung – etwa zügiges Gehen oder Radfahren – die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus anregt. Auch Koordinationstraining, Gleichgewichtsübungen und dual-task-Ansätze können bei älteren Patient:innen erstaunliche Effekte zeigen. Nicht nur, weil die Sturzgefahr sinkt – sondern weil das Gehirn dabei gefordert wird, neue Verschaltungen zu bilden.

Die moderne Umsetzung in der Physiotherapie ist dabei klarer als früher: Wir planen Bewegung nicht nur „irgendwie“, sondern dosiert und progressioniert. Für viele ältere Patient:innen sind 150 Minuten moderate Aktivität pro Woche ein gutes Ziel, aber der Weg dahin ist individuell. Wir starten mit dem, was machbar ist: kurze, häufige Einheiten, die zuverlässig stattfinden. Ein Zehn-Minuten-Spaziergang nach dem Mittagessen, zweimal täglich fünf Minuten Treppen oder Step-ups am Geländer, dazu zwei bis drei Kraftreize pro Woche mit einfachen Grundmustern wie Hinsetzen-Aufstehen, Rudern mit Band, Wadenheben und Hüftstreckung. Das klingt banal, ist aber neurobiologisch nicht banal, weil es Rhythmus, Wiederholung und Anpassung erzwingt.

Gerade spannend für die Alzheimer-Prävention ist die Kombination aus Ausdauer, Kraft und Koordination. Reines „ein bisschen gehen“ ist besser als nichts, aber wir wissen inzwischen: Krafttraining verbessert nicht nur Muskelmasse, sondern auch metabolische Parameter und Alltagsautonomie. Koordination und Gleichgewicht füttern die zentrale Steuerung, und Dual-Task bringt das Ganze in eine kognitiv realistische Situation. Wer im Alltag geht und gleichzeitig planen, reagieren, orientieren und sprechen muss, braucht genau diese Kopplung. Prävention ist also nicht nur „Bewegung“, sondern „bewegtes Denken“.

Dual-Task und Koordination – Training, das das Gehirn nicht langweilt

Wenn wir von kognitiver Reserve sprechen, reden wir über Anpassungsfähigkeit. Und Anpassungsfähigkeit entsteht nicht durch immer gleiche Bewegungen auf Autopilot, sondern durch variable Anforderungen. Dual-Task bedeutet in der Praxis nicht, Patient:innen zu überfordern, sondern die Dosis klug zu wählen. Einfache Beispiele sind: Gehen und dabei abwechselnd Farben im Raum benennen, Gehen und beim Richtungswechsel eine Zahl rückwärts zählen, Step-ups und gleichzeitig einen Ball von Hand zu Hand geben oder beim Tandemstand eine kurze Handlungsanweisung umsetzen. Der Fokus liegt auf sicherer Umgebung, klarer Anleitung und einem messbaren Fortschritt, nicht auf Show.

Für viele Patient:innen ist das ein Aha-Moment: Sie merken, dass „Schwindel“ oder „Unsicherheit“ manchmal weniger ein Ohr-Problem ist, sondern eine Überlastung der zentralen Steuerung, wenn Aufmerksamkeit und Bewegung gleichzeitig laufen müssen. Genau hier kann Physiotherapie präventiv wirksam sein, weil wir diese Situationen trainierbar machen. Gleichzeitig reduziert gutes Dual-Task-Training Sturzrisiken, was indirekt ebenfalls neuroprotektiv ist, weil Stürze häufig zu Immobilität, sozialem Rückzug und erneutem Abbau führen.

Schlaf – das glymphatische System als Detox für den Kopf

Was viele unterschätzen: Im Tiefschlaf entgiftet sich das Gehirn aktiv über das sogenannte glymphatische System. Werden Tiefschlafphasen dauerhaft gestört – durch Stress, unregelmäßige Zeiten oder Alkohol –, sammelt sich Amyloid-β im Gehirn an. Das ist jener Stoff, der in Alzheimer-Patient:innen als toxische Plaques identifiziert wird. In der Beratung sollten wir daher nicht nur nach Rückenlage oder Seitenlage fragen, sondern gezielt den Schlafrhythmus hinterfragen und auf gesunde Schlafhygiene hinweisen.

Physiotherapie kann Schlaf nicht „verordnen“, aber wir können Einfluss nehmen: durch Tagesstruktur, Aktivitätsdosierung, Schmerzmanagement und Stressregulation. Chronischer Schmerz ist ein Schlafkiller, und schlechter Schlaf verstärkt Schmerzen – ein Klassiker. Wenn wir Schmerzen reduzieren, Belastung sinnvoll steuern und Entspannungstechniken integrieren, unterstützen wir Schlaf indirekt, aber sehr real. Außerdem sollten wir Patient:innen erklären, dass Schlaf nicht nur Erholung ist, sondern aktive Hirnreinigung. Diese Übersetzung in ein verständliches Bild erhöht die Compliance oft stärker als jede moralische Standpauke.

Praktisch hilft eine klare Routine: morgens Licht und Bewegung, tagsüber Aktivität statt Dauersitzen, nachmittags keine exzessiven Nickerchen, abends runterfahren. Und wenn jemand regelmäßig schnarcht, Atemaussetzer hat oder morgens trotz ausreichender Zeit erschöpft ist, gehört Schlafapnoe auf die Liste – nicht als Diagnose durch uns, aber als klare Empfehlung zur ärztlichen Abklärung. Prävention heißt auch: Wir sehen Muster und bringen sie an die richtige Stelle.

Ernährung – kein Ernährungsthema ist so sehr Nervensache

In der Therapie sprechen wir selten offen über die Ernährung – doch genau das sollten wir tun. Eine mediterran geprägte Kost, reich an Omega-3-Fettsäuren, polyphenolreichen Pflanzenstoffen, Gemüse, Beeren, Nüssen und gesunden Fetten, schützt das Gehirn. Gerade für ältere Menschen mit chronischen Entzündungsprozessen oder metabolischem Syndrom ist die Umstellung kein Wellness-Gimmick, sondern eine medizinisch sinnvolle Intervention. Besonders interessant: Ein gestörtes Mikrobiom – etwa nach Antibiotikatherapie – kann über die Darm-Hirn-Achse das zentrale Nervensystem beeinflussen und Entzündungen verstärken.

Wir sind keine Ernährungsberater:innen im Sinne von detaillierten Plänen, aber wir sind Gesundheitsprofis, die Zusammenhänge erklären dürfen. Und zwar ohne Dogma. In einer Physiotherapie-2025-Praxis kann ein kurzer, strukturierter Gesprächsblock reichen: „Wie sieht Ihr Frühstück aus?“, „Wie oft kommen Gemüse und Eiweiß vor?“, „Wie häufig sind Süßgetränke oder stark verarbeitete Snacks dabei?“ Das Ziel ist nicht Schuld, sondern Orientierung. Viele ältere Patient:innen essen nicht „schlecht“, weil sie rebellisch sind, sondern weil Einkauf, Zubereitung und Motivation schwierig geworden sind. Prävention gelingt dann über kleine, machbare Schritte: proteinreicher Start in den Tag, mehr unverarbeitete Lebensmittel, regelmäßiges Trinken, und vor allem: weniger industrieller Zucker als Dauerbegleiter.

Wenn es um Nahrungsergänzung geht, sollte die Kommunikation nüchtern bleiben: Omega-3 kann sinnvoll sein, Vitamin D häufig ebenfalls – aber idealerweise in Abstimmung mit Ärzt:innen und basierend auf Laborwerten. Unser Beitrag ist das Verständnis, dass Ernährung und Bewegung zusammenarbeiten: Bewegung verbessert Insulinsensitivität, Ernährung reduziert Entzündungsdruck, Schlaf stabilisiert Gedächtniskonsolidierung. Das ist kein Lifestyle-Triptychon, das ist physiologisch logisch.

Zucker, Insulin und das Gehirn – ein unterschätzter Zusammenhang

Alzheimer wird in der aktuellen Forschung auch als „Typ-3-Diabetes“ bezeichnet. Das klingt provokant – ist aber biochemisch nachvollziehbar. Wenn die Insulinrezeptoren im Gehirn nicht mehr richtig reagieren, wird die Energieversorgung der Nervenzellen gestört. Die Folge: Degeneration. Gerade bei bewegungsarmen Menschen mit Prädiabetes oder Typ-2-Diabetes ist es wichtig, diesen Zusammenhang deutlich zu machen. Intervallfasten, Reduktion von Industriezucker und körperliche Aktivierung sind keine Lifestyle-Tipps, sondern neuroprotektive Maßnahmen.

In der Praxis kann man das verständlich machen, ohne Angst zu erzeugen: Das Gehirn ist energiehungrig, und es braucht stabile Stoffwechselbedingungen. Große Zuckerpeaks, ständiges Snacken und ein sitzender Alltag sind wie ein chaotischer Stromanbieter für Nervenzellen: mal zu viel, mal zu wenig, selten passend. Bewegung ist hier eine Art „Stoffwechsel-Reset“, weil Muskeln Glukose aufnehmen und Insulinwirkung verbessern. Besonders wirkungsvoll sind regelmäßige, moderate Belastungen, ergänzt durch Krafttraining. Das ist nicht spektakulär, aber es ist zuverlässig – und genau das zählt bei Prävention.

Wer Patient:innen motivieren will, sollte außerdem Alltagshürden ernst nehmen: Müdigkeit, Gelenkschmerz, Angst vor Stürzen, Scham, fehlende Begleitung. Prävention scheitert selten am Wissen, sondern an der Umsetzung. Deshalb gehören konkrete Strategien dazu: Training in kurzen Fenstern, sichere Umgebung, Begleitung durch Angehörige, Übungsprogramme mit klarer Progression und vor allem ein Feedbacksystem, das Erfolg sichtbar macht, etwa über Gehstrecke, Aufsteh-Wiederholungen, Balancezeit oder subjektive Belastungsskalen.

Mund und Darm – unterschätzte Risikozonen

Entzündungen sind ein zentraler Treiber neurodegenerativer Erkrankungen – und zwei der größten Entzündungsherde sitzen oft still: im Mundraum und im Darm. Parodontitis, ein stiller, aber chronischer Entzündungszustand des Zahnfleischs, steht in Studien in Zusammenhang mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko. Gleiches gilt für das sogenannte Leaky-Gut-Syndrom, bei dem eine durchlässige Darmwand systemische Entzündungsprozesse befeuert. Als Therapeuten dürfen wir diese Zusammenhänge nicht bagatellisieren, sondern sollten gezielt zur interdisziplinären Abklärung motivieren.

Das klingt zunächst „zu weit weg“ von Physiotherapie, ist aber in der Präventionslogik absolut passend: Systemische Entzündung wirkt auf Gefäße, Stoffwechsel und zentrale Prozesse. Wir müssen keine Diagnosen stellen, aber wir dürfen Hinweisgeber sein. Wenn jemand chronisch entzündetes Zahnfleisch, häufige Infekte, massive Darmprobleme oder lange Antibiotikaverläufe berichtet, ist das ein Anlass, die Hausarzt- oder Zahnarzt-Schiene aktiv zu empfehlen. Prävention ist Teamarbeit, und wir sind oft die, die genug Zeit haben, um diese Themen überhaupt hörbar zu machen.

Auch die Darm-Hirn-Achse ist in der Kommunikation hilfreich, weil sie Patient:innen zeigt: Der Körper ist kein Baukasten aus Einzelteilen. Wer sich um Schlaf, Bewegung, Ernährung und Entzündung kümmert, arbeitet nicht an vier getrennten Baustellen, sondern an einem System.

Mentale Aktivität – keine Frage des Alters, sondern der Gewohnheit

"Wer rastet, der rostet“ – dieser Spruch gilt nicht nur für den Körper, sondern auch fürs Gehirn. Wer sich geistig fordern will, muss nicht Sudoku lösen oder Latein lernen. Es reicht oft, wenn neue Bewegungsabfolgen eingeübt werden, wenn Handlungsanweisungen in andere Sprachebenen übertragen werden oder wenn in der Therapie Denk- und Bewegungseinheiten kombiniert werden. Auch hier ist dual-task ein wertvolles Instrument.

2025 bedeutet für die Praxis: Wir können kognitive Aktivierung in fast jede Einheit integrieren, ohne daraus „Gedächtnistraining“ zu machen. Schon das Anpassen von Übungen, das Variieren von Startpositionen, das Einbauen von Reaktionssignalen oder das bewusste Planen von Bewegungsfolgen fordert das Gehirn. Entscheidend ist die Haltung: Wir behandeln nicht nur den Schmerzpunkt, sondern wir fördern Kompetenz. Und Kompetenz entsteht, wenn Patient:innen verstehen, steuern und wiederholen können.

Besonders wertvoll ist das für Menschen, die bereits leichte kognitive Einschränkungen zeigen. Hier können strukturierte Routinen, einfache Heimprogramme und klare, wiederholte Anleitungen helfen, ohne zu infantilisieren. Respekt ist Therapie. Wenn wir Patient:innen ernst nehmen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie aktiv bleiben – und Aktivität ist der Kern der Prävention.

Sozialer Rückzug ist pathologisch – nicht normal

Viele ältere Menschen ziehen sich mit zunehmender kognitiver Unsicherheit zurück. Dieser Rückzug verschärft aber die Problematik. Wer nicht mehr spricht, nicht mehr diskutiert, nicht mehr reflektiert, verliert kognitive Reserven. Daher ist soziale Aktivität keine „private Entscheidung“, sondern ein gesundheitlich relevanter Faktor, den wir therapeutisch ansprechen müssen. Gruppentrainings, gemeinsames Kochen oder Bewegung in Kleingruppen sind therapeutisch viel effektiver als reine Einzelbetreuung.

In der Physiotherapie sehen wir oft die Vorstufe: Patient:innen sagen Termine ab, kommen seltener, „haben keine Lust“, wirken fahriger oder defensiver. Das ist nicht automatisch „Unzuverlässigkeit“, sondern kann Angst sein, Überforderung oder depressive Verstimmung. Wenn wir das als Teil des Präventionsprozesses erkennen, können wir besser intervenieren: niedrigschwellige Gruppenangebote, feste Trainingspartner, Angehörige einbinden, kurze Zielvereinbarungen und vor allem ein Klima, in dem Fehler erlaubt sind. Wer sich schämt, lernt schlechter. Wer sich sicher fühlt, bleibt dran.

Gerade für die kognitive Reserve ist soziale Interaktion ein Trainingselement: Sprache, Blickkontakt, spontane Reaktionen, Humor, Streitkultur, Empathie – das sind Gehirnleistungen. Und ganz nebenbei sind Gruppen oft wirksamer, weil sie Verbindlichkeit schaffen. Man geht hin, weil man erwartet wird. Das ist menschlich – und therapeutisch nützlich.

Prävention in der Physiotherapie: Screening,Planung,Kommunikation

Wir als Physiotherapeut:innen stehen oft frühzeitig im Kontakt mit Menschen, deren kognitive Leistungsfähigkeit nachlässt – lange bevor eine neurologische Diagnose gestellt wird. Unsere Aufgabe besteht nicht nur im Behandeln, sondern auch im Erkennen und Ansprechen von Risikofaktoren. Wenn wir präventiv wirken wollen, dann nicht mit abschreckenden Diagnosen – sondern mit gezielter Aufklärung, machbaren Empfehlungen und dem Mut, auch mal über den Bewegungsteller hinauszuschauen.

Praktisch kann das in drei Schritten ablaufen: erstens Beobachtung, zweitens Struktur, drittens Transfer. Beobachtung heißt, wir achten auf Gangvariabilität, Reaktionsverzögerungen, Schwierigkeiten bei Mehrfachaufgaben, Orientierung und Planungsfähigkeit. Struktur heißt, wir nutzen standardisierte Elemente, ohne zu überfrachten, etwa einfache Balance- und Mobilitätstests, die ohnehin in die Sturzprävention gehören. Transfer heißt, wir übersetzen Ergebnisse in konkrete Alltagsaufgaben: regelmäßiges Gehen, Kraftübungen, koordinative Herausforderungen, soziale Aktivität und Schlafroutine. Prävention wird dann greifbar, nicht abstrakt.

Wichtig ist die Sprache: Nicht „Sie werden dement“, sondern „Ihr Gehirn reagiert empfindlich auf Inaktivität und Stress, aber es reagiert auch positiv auf Training“. Wir verkaufen keinen Schrecken, wir bieten Handlungsfähigkeit. Und wir sollten ehrlich sein: Prävention ist kein Garantieversprechen, aber sie verschiebt Wahrscheinlichkeiten. Genau das ist Medizin im besten Sinn.

Konsequent: Was wir wirklich tun können – und warum es sich lohnt

Denn das Gehirn lässt sich trainieren. Genau wie der Körper. Und zwar ein Leben lang.

Diese Aussage ist keine Motivation aus dem Kalender, sondern therapeutische Realität. Wenn wir Bewegung konsequent in den Alltag bringen, wenn wir Schlaf und Entzündung ernst nehmen, wenn wir Dual-Task und soziale Aktivierung als echte Trainingsfaktoren verstehen, dann leisten wir einen Beitrag, der über Schmerzreduktion hinausgeht. Und ja, das ist mehr Arbeit als „Wärme drauf und fertig“, aber es ist auch die Art von Physiotherapie, die 2025 gebraucht wird: modern, vernetzt, evidenzbasiert und trotzdem menschlich.

Alzheimer-Prävention in der Physiotherapie heißt nicht, dass wir Neurologie spielen. Es heißt, dass wir unsere Position an der Front des Alltags nutzen. Wir sehen Menschen regelmäßig, wir sehen sie in Bewegung, wir hören ihre Geschichten. Wenn wir diese Nähe nutzen, um frühzeitig Aktivität, Struktur und Selbstwirksamkeit aufzubauen, dann ist das keine Kür. Es ist Pflicht – im besten, professionellen Sinn.

Quellenhinweise

Erkenntnisse zu Bewegung und Demenzrisiko basieren u.a. auf großen Kohorten- und Interventionsarbeiten sowie Übersichtsarbeiten zur Rolle körperlicher Aktivität bei kognitivem Abbau und Demenz. Zentrale Grundlagen zum glymphatischen System und Schlaf stammen aus neurowissenschaftlichen Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen Tiefschlaf, Liquordynamik und Amyloid-Clearance beschreiben. Evidenz zur mediterranen Ernährung und kognitiver Gesundheit wird u.a. in Studien zur MIND- und Mediterranean-Diet-Implementierung diskutiert. Der Zusammenhang zwischen Insulinresistenz und neurodegenerativen Prozessen wird in Arbeiten zur „brain insulin resistance“ und metabolischen Risikofaktoren für Alzheimer aufgearbeitet; Bezüge zu Parodontitis und systemischer Entzündung finden sich in Studien zu chronischer oraler Entzündung als Risikotreiber.

Beispiele wissenschaftlicher Referenzen: Erickson KI et al.:Exercise training increases size of hippocampus and improves memory.Proc Natl Acad Sci USA.2011; Xie L et al.:Sleep drives metabolite clearance from the adult brain.Science.2013; Morris MC et al.:MIND diet associated with reduced incidence of Alzheimer’s disease.Alzheimer’s Dement.2015; Craft S:Insulin resistance and Alzheimer’s disease pathogenesis:potential mechanisms and implications.Alzheimer’s Dement.2012; Dominy SS et al.:Porphyromonas gingivalis in Alzheimer’s disease brains:evidence for disease causation and treatment.J Alzheimers Dis.2019.

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